Reiner Kramer
Während die Kanadier im April 1945 immer näher an Oldenburg rückten, verloren die deutschen Truppen an Rückhalt in der Bevölkerung, so auch in Beverbruch. In Josef Meyer erkannten Hitlers Soldaten einen Rädelsführer – und exekutieren den Gastwirt.
Beverbruch Ein „feiger Mord aus festem Glauben an eine falsche Ideologie“, so überschreibt Werner Meiners (Wardenburg) in der Beverbrucher Chronik seinen Text über die Geschehnisse Ende April 1945 – kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine Tat, die die Bauerschaft tief erschütterte. Die kanadischen Truppen nähern sich Oldenburg. Vor allem der Norden der Gemeinde gerät zwischen die Fronten deutscher und kanadischer Truppen. „Während der südliche, westliche und östliche Teil der Bauerschaft Beverbruch nur wenig unter kriegerischen Handlungen zu leiden hatte, traf es den Norden umso schwerer“, schreibt Meiners. „Fast kein Gehöft blieb ohne Schaden.“
Beverbrucher leisten Gegenwehr
Während die deutschen Soldaten noch immer Meter um Meter verteidigen, steht die Zivilbevölkerung längst nicht mehr hinter dem Widerstand gegen die vorrückende Front. Sie will nicht zusehen, wie ihr Dorf verwüstet, das Leben der Dorfbewohner aufs Spiel gesetzt wird. Von Bestechungsversuchen ist die Rede, sogar von Drohungen. Ein Marine-Angehöriger, der in Beverbruch Minen verlegen sollte, berichtet später, dass innerhalb seines sehr großen Einsatzgebietes nur in Beverbruch Soldaten bei der Durchführung ihrer Aufgaben von Bewohnern behindert worden seien. Die Beverbrucher versuchen, Soldaten daran zu hindern, die Minen scharfzumachen. Und sie entschärfen die Minen sogar, um den Kanadiern den Durchzug zu erleichtern.
So begründete das Schwurgericht den Freispruch
Die Wende kam im Revisions-Prozess, der im November 1952 begann. „Ein Geschehen wie die Erschießung des Gastwirts Meyer aus Beverbruch, der noch in der allerletzten Phase des Zusammenbruchs ein Opfer des unglückseligsten aller Kriege wurde, kann vom Gericht nicht zurückschauend gewertet und gesühnt werden. Es muß gemessen werden mit den Maßstäben, die zu seiner Zeit gültig waren.“ So begründet das Gericht seinen Freispruch für alle fünf Angeklagten. Im Klartext: Gerechte Urteile könnten nur gefällt werden, wenn die inneren und äußeren Tatumstände mit letzter Objektivität für die Urteilsfindung herangezogen werden könnten. Sander, so das Gericht, habe aus „Notwehr“ den Befehl gegeben, weil dieser seiner Aufgabe, die Front zu sichern und das Hinterland vom Feind frei zu halten, entsprochen habe. Dass Meyer kein Verräter war – wie Beverbrucher eidesstattlich versicherten –, sei „ein entschuldbarer Irrtum“. Martini sei nicht für die Erschießung verantwortlich zu machen. Auch die Soldaten hätten nicht das Bewusstsein gehabt, dass die Erschießung ein Verbrechen hätte sein können.
„Beim Gastwirt Meyer in Beverbruch stimmt etwas nicht, da fahren morgens kanadische Panzer vor, erhalten Auskunft über das Gelände, veranstalten auch Gelage in der Wirtschaft. Die von uns geschlossenen Panzersperren werden immer wieder geöffnet und auch Minen entfernt. Meyer hat auch die weiße Flagge gezeigt.“ Diese Meldung geht bei Oberstleutnant Hans-Heinrich Sander ein (NWZam 3. April 1950). Erstattet hat sie Leutnant Arthur Martini. Unklar bleibt, auf wessen Aussagen er sich bezieht. „Persönlicher Rachsucht“ könnte eine Rolle gespielt haben, glaubt später Meyers Sohn Albert.
Diese Meldung schafft es in die Zeitung, weil sie Anlass für einen Befehl gibt, der später über viele Jahre juristisch aufgearbeitet werden sollte. Der Gastwirt ist als Anführer und Rädelsführer der „zum Feinde übergelaufenen Bevölkerung“ ausgemacht. Oberstleutnant Sander schickt daraufhin einen Stoßtrupp zu Meyer wegen „Gefährdung seiner Truppen und der Stadt Oldenburg“.
Was genau geschah in der Nacht?
Die Soldaten rücken vorsichtig vor, um nicht den kanadischen Truppen in die Hände zu fallen, die Beverbruch besetzt haben. Gegen 3 Uhr in der Nacht gelangt die Truppe zur Gastwirtschaft am Nordrand des Dorfes. Während einige Soldaten das Haus sichern, dringen andere in das Haus ein. „Ein ortskundiger Soldat ist über die häuslichen Verhältnisse genau unterrichtet“, schreibt Meiners. Der 62-jährige Josef Meyer wird zunächst vom Truppführer über die Lage in Beverbruch ausgefragt und schließlich zum Mitkommen aufgefordert. Meyer beruhigt zunächst seine Frau und verlässt dann mit den Soldaten das Haus. Der Trupp zieht in Richtung Littel davon. Meyer bleibt immer wieder zurück – dabei müssen die Soldaten bis zur Morgendämmerung zurücksein. Etwa 300 Meter nördlich des Gasthofs richten die Soldaten Zetzsche und Wäsch ihre Maschinenpistolen auf Meyer und drücken ab. Der Gastwirt bricht tot zusammen – mit mehr als 30 Einschüssen im Leib.
Die besorgte Familie benachrichtigt am nächsten Morgen den kanadischen Kommandeur darüber, dass deutsche Soldaten Josef Meyer mitgenommen hätten. Die Leiche wird am Morgen neben der Straße gefunden. Die Empörung im Dorf ist groß, als man von dem Verbrechen hört. Der beliebte Gastwirt wird zunächst im Pfarrhaus aufgebahrt und nach einigen Tagen „unter großer Beteiligung der Bevölkerung“ beigesetzt.
Mit dem Mord, der laut Meiners nur einen Tag vor dem Rückzug der deutschen Einheiten hinter die neue Hauptkampflinie bei Oldenburg geschah, sollte offensichtlich ein Exempel statuiert werden. Sollte Meyer womöglich gar nicht festgenommen, sondern von Anfang an exekutiert werden?
Wie lautete der Befehl?
Mit welchem Befehl die Fahnenjunker-Unteroffiziere aus Richtung Littel gegen Beverbruch vorrückten, wird nie ganz geklärt. Sander will lediglich die Verhaftung des Gastwirts befohlen haben, betont er vor Gericht. Leutnant Martini aber, an den der Befehl ging, widerspricht: Demnach soll Sander ihm verweigert haben, Meyer zum Gefechtsstand zu bringen. Martini sagt aus, sogar den Befehl erhalten zu haben, Meyer aufzuhängen oder zu erschießen. Darin wird er von Soldaten des Stoßtrupps gestützt. Diesen Befehl gab Martini an den Stoßtrupp weiter. Zum Erhängen sollte es aber nicht kommen. Sie seien es nicht gewohnt gewesen, Wehrlose anzugreifen oder gar aufzuhängen; sie hätten sich gegen ein solches Tun gesträubt, wird Unteroffizier Ernst Pfoser zitiert.
Die juristische Aufarbeitung
Nach dem Krieg drängt Albert Meyer auf juristische Aufarbeitung, um den „Makel des Landesverräters“ von seinem Vater zu nehmen. Vor dem Schwurgericht Oldenburg wird Oberstleutnant Sander wegen vorsätzlicher Tötung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Das „angeblich verräterische Verhalten von Meyer sei keine Rechtfertigung des Erschießungsbefehls“, so die Richter, ihm hätte ein ordnungsgemäßes Verfahren zugestanden.
Wegen Beihilfe erhält Martini ein Jahr Haft, die Soldaten Pfoser, Zetzsche und Wäsch je zehn Monate Gefängnis. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Martini zumindest den Erschießungsbefehl von Sander erhalten hatte. Alle Angeklagten waren sich „der Rechtswidrigkeit ihres Handelns in vollem Umfang bewusst“, urteilt das Gericht.
Im Laufe der Verhandlungen wird deutlich, dass Meyer keine Verbindungen zu den Kanadiern unterhält und auch an der Beseitigung der Minen nicht beteiligt gewesen sei.
Quelle: https://www.nwzonline.de/plus-cloppenburg-kreis/beverbruch-mord-erschuetterte-bauerschaft-der-fall-des-gastwirts-josef-meyer-aus-breverbruch_a_50,8,389880612.html